In der Entwicklung der deutschen Lackkunst markiert die 1763 gegründete Unternehmung Stobwasser den Übergang von den Hofwerkstätten zur Manufaktur, stilistisch den Wechsel vom Spätrokoko zum Klassizismus.
Losgelöst von der bis etwa zur Mitte des Jahrhunderts anhaltenden Orientierung an Ziertechniken und Motiven fernöstlicher Lackarbeiten, setzte sie in der ausgereiften Technologie wie in der künstlerischen Gestaltung ihrer Produkte Maßstäbe. Die Manufaktur war daher Vorbild nicht nur für zahlreiche deutsche Fabriken, sondern wirkte sich richtungweisend auch auf das Lackgewerbe in England und Russland aus.
Es war das Verdienst Franz Fuhses, in einem 1925 veröffentlichten Beitrag über „Stobwasser-Arbeiten“ als erster auf die Bedeutung dieser in Braunschweig und Berlin ansässigen Manufaktur aufmerksam gemacht zu haben. Seine Forschung blieb über Jahrzehnte hinweg die einzige Quelle, aus der Näheres zu erfahren war. Auf ihr bauten Walter Holzhausens Ausführungen zu Stobwasser in seiner 1958 erschienenen Monographie „Lackkunst in Europa“ auf. In Hans Huths Standardwerk von 1971, „Lacquer of the West“, wird Stobwasser nur knapp auf nicht erweitertem Kenntnisstand gewürdigt.
Das für die Geschichte der europäischen Lackkunst wichtige und kulturhistorisch facettenreiche Gebiet „Stobwasser“ blieb lange vernachlässigt, bis 1988 unter dem sehr allgemein gefassten Titel „Lackdosen“ eine Monographie von Detlev Richter erschien – tatsächlich das erste Buch, das sich der Geschichte der Familie und der Manufaktur Stobwasser wie der Machart und dem Vertrieb ihrer Lackwaren eingehend widmete. Ihm lag eine bedeutend erweiterte Kenntnis von Objekten zugrunde, die der 1945 geborene Autor seiner eigenen, 1976 einsetzenden intensiven Sammeltätigkeit wie dem Austausch mit anderen privaten Sammlern und dem Kontakt zu Museen mit einschlägigen Beständen verdankte. Das aus der Fülle schöpfende Material schloss über die zum
Markenzeichen gewordenen Stobwasser-Dosen sowie mit Lackmalerei verziertem Mobiliar und Geschirr vor allem auch Familien- und Firmendokumente ein, auf die der Sammler sein Augenmerk in Erkenntnis ihrer Bedeutung ausgedehnt hatte.
Die Auswertung dieser Schriftstücke wie die Verbindung zu Nachfahren der Familie Stobwasser fügten sich zu einer lückenlosen Stobwasser-Chronik zusammen.
In den Folgejahren wusste Detlev Richter nicht nur seine Sammlung durch signifikante Stücke zu erweitern, er setzte seine Studien in Sammlungen wie Archiven fort und veröffentlichte kleinere Beiträge zu einzelnen Aspekten, so 1989 „Landschaftsmalerei auf Lack: Dosen der Braunschweiger Manufaktur Stobwasser“ und 2000 „Lackierer der Könige – König der Lackierer: Die Manufaktur Stobwasser in Berlin“.
Die Krönung seiner dreißigjährigen Leidenschaft für Stobwasser war die große, von ihm kuratierte Ausstellung, die das in Münster beheimatete Museum für Lackkunst unter dem Titel „Stobwasser – Lackkunst aus Braunschweig & Berlin“ 2005 veranstaltete. Ihre Folgestationen im Städtischen Museum Braunschweig, bei der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen und im Deutschen Historischen Museum, Berlin, führten sie in die für Stobwasser wichtigen Städte. Im Katalog der 288 Exponate hat Detlev Richter das in Jahrzehnten angereicherte Detailwissen in gebündelter Form aufbereitet. Besondere Bedeutung kommt dem zweiten Band zu, der die bis dato bekannten historischen Dokumente vollständig wiedergibt und zudem eine Übersicht über die für Stobwasser tätigen Künstler einschließlich ihrer Biographien enthält.
Mit der von der Richard Borek Stiftung in Auftrag gegebenen Internet-Dokumentation wird das Wissen um die Manufaktur Stobwasser und ihre Produkte der Öffentlichkeit ohne Einschränkung zur Verfügung gestellt. Es ist Richters vorläufig letzter Beitrag, der die Leistungen dieses zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts nur wenigen Eingeweihten bekannten Herstellers feinster Lackarbeiten in das allgemeine Bewusstsein rückt.
Detlev Richter darf als herausragender Kenner von Stobwasser-Arbeiten gelten. Sein Kenntnisreichtum hat sich in seiner über Fachkreise hinaus renommierten Sammlung wie in seinen einschlägigen Publikationen so nachhaltig und prägnant manifestiert, dass sein Name mit dem Stobwassers aufs engste verbunden ist.
Monika Kopplin