STOBWASSER, Johann Heinrich (Lobenstein 1740-1829 Braunschweig ), Lackkünstler und Lackwarenfabrikant
Der Begriff „Stobwasser“ steht bis heute für von der Familie Stobwasser hergestellte Lackarbeiten; insbesondere jedoch für die von hervorragenden Malern verzierten und mit unzähligen Lackschichten versehenen Schnupftabaksdosen, die Weltgeltung erlangten und als „Stobwasserdosen“ nach wie vor als herausragende Kunsthandwerksarbeiten gesucht sind.
Gründer des Familienunternehmens war Georg Siegmund (Sigismund) Eustachius Stobwasser (1686-1776). Er war ursprünglich Glasermeister, verlor jedoch nach einem Brand Haus und Hof, woraufhin er in Lobenstein im Vogtland einen bescheidenen Hausiererhandel mit Kurzwaren betrieb, während seine Frau, Christine Elisabeth Stobwasser, geborene Fichte (1712-1792) mit ihren Kindern Wolle für Tuchmacher der Umgebung spann.
Als eigentlicher „Kopf“ der Manufaktur gilt jedoch ihr 1740 geborener Sohn Johann Heinrich Stobwasser.
Von seinen Eltern streng religiös erzogen, wuchs er mit seinen drei Schwestern in drückender Armut auf. Durch eine besondere zeichnerische Begabung war Johann Heinrich schon in früher Jugend aufgefallen, konnte jedoch wegen der schlechten finanziellen Lage der Familie keine weitere Förderung seines Talentes erfahren.
Stattdessen begleitete er den Vater zu Fuß auf Handelsreisen zu Messen und Märkten in zahlreiche deutsche Handelsstädte. Auf einer dieser Reisen, die nach Ansbach führte, kam er erstmals mit dort angebotenen Lackartikeln in Berührung, die im damals Fünfzehnjährigen spontan den Wunsch erweckten, selbst einmal solche Waren herstellen zu können. Nach zahlreichen Experimenten an der Rezeptur eines Lackes, dessen Glanz und Haltbarkeit allen Anforderungen entsprach, gelang es dem Siebzehnjährigen unter Mithilfe eines Ansbacher Apothekers, das sogenannte Arkanum (Geheimnis) zu ergründen. Dieses ermöglichte endlich eine Eigenproduktion.
Erste Erfolge ließen nicht lange auf sich warten.Vom Bayreuther Markgrafen Friedrich III. 1760 in Auftrag gegebene Arbeiten für lackierte Dosen und Trinkbecher mit Figuren- und Landschaftsmalerei bewirkten beispielsweise, daß der Markgraf dem jungen Stobwasser einen kostenfreien Platz an seiner Kunstmalerakademie anbot. Johann Heinrich lehnte das Angebot seinem Vater zuliebe jedoch ab und zog stattdessen vor, mit dem Vater ein bescheidenes Lackwarenunternehmen in Lobenstein zu gründen, dem zu einer fabrikmässigen Erweiterung jedoch weitere Voraussetzungen fehlten.
Deshalb folgte die Familie, das waren damals Vater, Mutter, Johann Heinrich, seine drei Schwestern sowie zwei Arbeiter, 1762 einem Aufruf des Herzogs Carl I. von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, der Künstlern und Unternehmensgründern in seinem Land großzügige Unterstützung versprach. Die von Stobwasser eingereichten Probearbeiten gefielen, sodaß Hab und Gut zusammengepackt und im Sommer 1763 nach Braunschweig übersiedelt werden konnte, wo den Neuankömmlingen freies Bürgerrecht, Vorschussgelder für die Produktion und freie Wohnung versprochen worden war.
Infolge der Ebbe in der Braunschweiger Staatskasse, die durch den soeben beendeten Siebenjährigen Krieg entstanden war, gestaltete sich der Beginn für die Neuankömmlinge allerdings alles andere als zufriedenstellend. So blieb es von Seiten der Regierung vorerst lediglich bei allgemeinen Versprechungen. Eine dringend eingebrachte Bitte um Beihilfe verschaffte der Familie immerhin eine kleine Wohnung, in der man mit einer bescheidenen Lackwarenproduktion begann.
Die für das herzogliche Regiment hergestellten, mit Malerei versehenen Patronentaschen, Flintenriemen, Trinkbecher und Gewehrschäfte lösten schon bald Nachfrage nach weiteren qualitätvollen Lackartikeln aus.
So konnte das Warenrepertoire auf fein bemalte und lackierte Schnupftabaksdosen, Möbel, Möbeleinlagen, bemalte Kutschen und alle möglichen anderen Gebrauchsgegenstände ausgeweitet werden.
Die Heirat der ältesten Schwester Johann Heinrichs, Louise Dorothea (1745-1820) mit dem französischen Tischler und Braunschweiger Leibgardisten Jean Guérin (Geburtsjahr unbekannt- 1797) im Jahr 1767 verschaffte dem Unternehmen zusätzlichen Aufschwung, denn Guérin war der Erfinder einer neuen Art von Tischplatten mit profiliertem Rand, die von Stobwasser mit großem Erfolg abgesetzt werden konnten.
Ein Jahr später erreichte Stobwasser ein Auftrag Friedrichs des Großen, für ihn eine Staatskarosse in Berlin zu lackieren. Diese Arbeit erregte sogleich überregionale Aufmerksamkeit und brachte Stobwasser die Einladung des Preußenkönigs ein, seine Fabrikation ganz nach dort zu verlegen. Die Treue zum Braunschweiger Hof veranlasste ihn jedoch, am alten Standort festzuhalten. Dies trug ihm schließlich das Privileg ein, fortan als einziges Unternehmen seine Artikel als „Braunschweiger Lackwaren“ bezeichnen und mit seinem Namen signieren zu dürfen.
Zudem schenkte der Herzog der Familie ein Betriebsgebäude in der Braunschweiger Echternstraße mit Wohnung und zugehörigem Grundstück, dem später noch das nebenstehende „Hirtenhaus“ hinzugefügt wurde, mit der Bedingung, die Fabrikation darin noch weitere Jahre fortzusetzen.
Mit Stobwassers Hilfe war es 1772 gelungen, unter der Leitung seines Schwagers Jean Guérin in Berlin ein Zweigunternehmen zu gründen, dem bald der Titel „Zweites Hoflackierunternehmen“ zuerkannt wurde.
Die Heirat Johann Heinrichs mit der wohlhabenden hannoverschen Hoftischlerstochter Sophie Elisabeth Gersting (1745-1809) im Jahr 1774 und deren stattliche Mitgift ermöglichten der Braunschweiger Manufaktur erhebliche Erweiterungen.
Nach Vater Sigismunds Tod im Jahr 1776 hatte Johann Heinrich nun die alleinige Leitung der Braunschweiger Fabrik übernommen.
Zur Zeit der Geburt des ersten Sohnes Christian Heinrich (1780-1849), zählte die Belegschaft des Unternehmens bereits über 30 Mitarbeiter. Neben einem Werkmeister beschäftigte man Schreiner, Drechsler, Maler, Vergolder, Lackierer, Schleifer, Beleger von Pfeifenköpfen, Raspler, Klempner, Gürtler sowie Polierer.
Als Trägermaterial für die Produkte diente in erster Linie das in aufwendiger Prozedur hergestellte Papiermaché, Holz sowie gewalztes Weiß- und Eisenblech. Die Reputation der Manufaktur begründete jedoch die hochwertige, von hervorragenden Meistern ausgeführte Malerei auf den Objekten.
Um das hohe Niveau des Dekors zu gewährleisten, hatte Stobwasser 1780 unter der Leitung des angesehenen Braunschweiger Malers Pascha Johann Friedrich Weitsch (1723-1803) eine firmeneigene Malschule eröffnet, in der man teilweise sehr namhafte Maler ausbildete.
Das breite Spektrum der Sujets auf Stobwasserarbeiten umfaßte vor allem Landschaften,Veduten, Porträts berühmter Persönlichkeiten, Bildnisse schöner Frauen, Genredarstellungen, Szenen aus der Mythologie, religiöse Themen, aber auch erotische Motive. Die Preise solcher Lackartikel waren allerdings schon damals relativ hoch, so daß anspruchsvollere Artikel bevorzugt beim Adel und dem wohlhabenden Bürgertum Absatz fanden.
Im Gegensatz zu französischen Manufakturen, die ihre Lackartikel nicht bezeichneten, versahen die deutschen, englischen und russischen Lackwarenhersteller ihre Arbeiten mit einer Signatur. Auf Stobwasser-Objekten finden sich oftmals neben handgeschriebenen Sujetbezeichnungen verschiedene Firmensignets, meistens in einer handgeschriebenen Variante oder als Schablonensignet. So wurden die handgeschriebenen Bezeichnungen "Stobwasser", "Stobwassers Fabrik" oder "Stobwassers Fabrik in Braunschweig" verwendet, als Schablonensignet "Stobwasser´s Fabrik Braunschweig." oder "Stobwasser´sche Fabrik in Braunschweig". In der Zeit der französischen Besatzung (1807-1813) gab es auch die Bezeichnung "Stobwassers Fabrique".
Johann Heinrichs zweitgeborener Sohn, Johann Heinrich Ludwig (1785-1832), wie der Vater künstlerisch begabt, entwickelte sich zwar ebenfalls zu einem guten Zeichner, gab letztlich jedoch dem Studium der Theologie den Vorzug und übte später das Amt als Missionar der Herrnhuter Brüdergemeine auf Antigua aus.
Nach langwieriger Erkrankung seines Schwiegersohnes Guérin übernahm Johann Heinrich 1794 neben dem Braunschweiger Haus auch noch die Leitung der Berliner ManufakturIn den nachfolgenden Jahren stieg sein zuvor im Ausland ausgebildeter Sohn Christian Heinrich zum Compagnon der Unternehmen in Braunschweig und Berlin auf.
Weitsichtige Geschäftsführung, großzügige Investitionen, höchster technischer und künstlerischer Standard sowie eine soziale Personalpolitik mit Gründung der ersten Betriebskrankenkasse ließen das Unternehmen schließlich zu einem der führenden Handwerksbetriebe ganz Deutschlands aufsteigen.
Kurz nach 1800 beschäftigte allein die Fabrik in Berlin neben 30 Malern noch über weitere 40 Mitarbeiter. 1802 übergab Johann Heinrich den florierenden Betrieb in Fremdverwaltung, was ihm ermöglichte, nun ganz nach Braunschweig zurückzukehren. Dort widmete er sich fortan in erster Linie der von ihm gegründeten pietistischen Bibelgesellschaft. Nach dem Tod seiner Frau Sophie Elisabeth im Jahr 1809 übertrug er Christian Heinrich die Manufakturen in Braunschweig und Berlin und heiratete 1810 in zweiter Ehe die Schwiegermutter seiner Tochter, die Witwe des berühmten Kunsttischlers David Roentgen (1743-1807), Katharina Dorothea Roentgen aus Neuwied (1749-1825), die er um vier Jahre überlebte. Hochbetagt starb er in Braunschweig 1829 in seinem 89. Lebensjahr.Zum Andenken an den bedeutendsten deutschen Lackkünstler des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, dessen Unternehmen den Wandel von der Hofwerkstatt zur Lackmanufaktur beispielhaft veranschaulichten, wurde durch die Stadt Braunschweig eine Straße nach ihm benannt.